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Julia und ich haben geheiratet! Das war im Mai, also vor etwas mehr als einem halben Jahr. Ist es wirklich der „schönste Tag des Lebens“, wie er häufig betitelt wird? Oder ist das eine romantische Verklärung? Warum wäre mein Wohlgefühl am Morgen der Hochzeit fast ins Wasser gefallen? Das und mehr in dieser schmunzelnswerten Retrospektive über den 17. Mai 2025.
Wer hat wem den Antrag gemacht?
Tatsächlich keiner von uns. Der Wunsch zu heiraten ergab sich organisch im Laufe unserer Kennlernphase, seitdem wir uns über die Ästhetik und den Sinn des Heiratens austauschen.
Julia und ich lernten uns mitten in der Corona-Pandemie kennen. Über die Osterzeit verbrachten wir beide Zeit in der Heimat bei unseren Eltern. Zwischen Jena, Julias damaligem Studienort, und Greifswald, wo ich noch bei KATAPULT arbeitete, liegen hunderte Kilometer. Doch der Zufall reduzierte die Entfernung auf knapp sieben Kilometer. Seinem Willen zufolge begegneten wir uns wohl auch nie in unserer Kindheit.
Der Vertrauensvorschuss, den wir durch die Vertrautheit, eine Heimatregion zu teilen, spürten, begünstigte das Swipen auf Bumble. Nach etwas Bangen, ob Julia auf unser Match eingehen würde, folgte nach wenigen Nachrichten eine erwartungsfreie Verabredung: ein Spaziergang. Auf dem ersten und allen folgenden Spaziergängen in den darauffolgenden Wochen erkundeten wir alle Natur zwischen unseren Heimatdörfern. Es waren nur „Spaziergänge“. Vielleicht waren es aber auch insgeheim Dates.
Beim gegenseitigen Kennenlernen und Abtasten allgemeiner Lebenseinstellungen (die Prüfung auf gegenseitige Kompatibilität) kam irgendwann auch das Thema Heiraten auf. Wir beide hatten beide eine unvoreingenommene Haltung: Ästhetisch gesehen kann eine Hochzeit schön und gleichzeitig romantisch verklärt sein. Wir waren uns einig, sich keinem potenziellen gesellschaftlichen Erwartungsdruck stellen zu wollen. Wir würden jeweils nur dann heiraten wollen, wenn beide Parteien es gleichermaßen fühlten.
Wenn ich mich zurückerinnere, spielte schon früh die Lust an der Hochzeitsästhetik eine Rolle. Die Einladung Julias auf eine Hochzeit einer Freundin aus Kindheitstagen im Sommer 2021 stiftete uns an, darüber zu sinnieren. Zu diesem Zeitpunkt waren wir gerade ein paar Monate ein Paar, wenngleich die Bezeichnungen „Freund“ oder „Freundin“ noch unausgesprochen blieben. Alles war noch zu frisch und aufregend, als dass wir uns hätten vorstellen können, gemeinsam die Hochzeit zu besuchen. Seitdem träumten wir darüber, wie eine reflektierte Hochzeit aus ästhetischer und inhaltlicher Sicht aussehen könnte, damit wir uns wohlfühlen würden.
Deswegen gibt es nicht den einen Antrag. Wir beide tauschten immer wieder unsere Vorstellungen aus, bis die Lust auf Umsetzung unhaltbar wurde.
Die kleine oder große Feier
Was wünschen wir uns eigentlich von unserer Hochzeit?
- Das Drumherum mehr als den Festakt der standesamtlichen Trauung zu zelebrieren – das Drumherum mit Freunden und Familie ist uns am wichtigsten.
- Kompatibilität mit unserem Kinderwunsch. Heiraten entweder vor den ersten Fruchbarkeitstests oder mit einem mindestens zweijährigen Kind. Mit anderen Worten: ganz bald oder erst in mindestens drei Jahren.
- Für mich, einen Teil des Wochenendes dort zu verbringen, wo wir uns vor vier Jahren begannen, kennenzulernen. In unserer Heimat.
- Im Frühling oder Sommer zu feiern.
Ursprünglich wollten wir eine große Feier ausrichten. Auf der Suche nach der passenden Location dafür fanden wir das Schloss Teutschenthal. Von den hiesigen Bewohnern „Schloss“ getauft, ist es eher eine große Villa. Es liegt an einem Park im Grünen – der ideale Wohlfühlraum für uns und für alle, die bei einem Spaziergang dem Trubel kurz entfliehen möchten. Die Kapazitäten des Hotels hätten 50 bis 60 Gästen entsprochen, sodass alle zum Frühstück am Tag nach der Hochzeit hätten bleiben können.
Nur fiel unsere Entscheidung für eine Trauung Ende 2024 zu spontan, als dass im Schloss Teutschenthal noch ein freies Wochenende im Jahr 2025 buchbar gewesen wäre. Selbst die Termine für 2026 waren bereits großflächig ausgebucht.
Eine große Feier hieße also, warten zu müssen. Das wollten wir beide nicht.
Die Lösung: eine Hochzeit im Kreise unserer Familien 2025 und ein großes Lebensfest in ein paar Jahren darauf. Mit diesem Ansatz sah ich auch meinen Wunsch erfüllt – an dem Ort zu feiern, an dem Julia und ich uns kennengelernt hatten.
In Leipzig werden Anmeldungen für standesamtliche Trauungen immer in einem bestimmten Intervall vergeben. Für eine Anmeldung im Dezember 2024 fiel dieses Intervall genau auf den Frühling 2025 – perfekt! Gerade noch rechtzeitig buchten wir uns einen der letzten freien Slots – für den Morgen des 17. Mai 2025.
Ups, ich wollte mir noch einen Gürtel kaufen
Der Hochzeitstag begann für alle Gäste kurz nach 9 Uhr am Standesamt Leipzig. Für etwa halb zehn war die Trauungszeremonie angedacht.
Für das Brautpaar begann der Tag jedoch schon um 7 Uhr bei Natalie Paulikat, die Julias Haare frisierte und unser Make-up auftrug – wobei von den geplanten zwei Stunden nur etwa 15 min für meine „Grundierung“ vorgesehen waren. Während Julia sich bei Natalie wohlfühlte, begleitete ich das Ereignis mit Kamera und genüsslichem Kaffeeschlürfen (der Kaffee war sehr gut, Natalie!).
Als die neunte Stunde des Tages näher rückte, wurde ich zappelig. Natalie und Julia waren noch nicht fertig. Vor uns lagen noch der Outfit-Wechsel (Kleid/Anzug und Schuhe) und eine Wegstrecke vom Süden Leipzigs ins Stadtzentrum zum Standesamt.
Natalie tupfte schnell ihre letzten Pinselstriche auf Julias Leinwand. Halb in Eile und mindestens genauso aufgeregt halfen Julia und ich uns gegenseitig beim Ankleiden. Beim Zuknöpfen meiner Anzughose erstarrte ich und dachte: „Shit, ich hab was vergessen!“
Den passenden Anzug zu finden war eine Odyssee – namenhafte und namenlose Ausstatter in Leipzig und sogar am Kurfürstendamm in Berlin waren mir zu altmodisch und gesetzt. Ich fühlte mich mehr verkleidet als eingekleidet. Einen feschen Schnitt fand ich schließlich unerwartet für etwas mehr als 100 € bei Zalando. Mit diesem Anzug fühlte ich das Wohlbehagen, wonach ich monatelang suchte. Das Sakko in der Konfektionsgröße M passte mir hervorragend, nur die dazugehörige Hose in gleicher Größe rutschte. Den daumenbreiten Spalt zwischen Körper und Hose wollte ich mit einem Gürtel beheben. Allerdings hatte Vergangenheits-Johann nach der letzten Anprobe vergessen, sich noch einen passenden Gürtel zu beschaffen!
Der Hochzeitstag hatte gerade erst begonnen, doch vor meinem inneren Auge drohte er bereits ins Wasser zu fallen. Wie konnte ich nur vergessen haben, einen Gürtel zu kaufen?
„Schnell, denk nach“, raunte ich mir zu. Auf dem Weg zum Standesamt zu Hause vorbeizufahren war zeitlich nicht möglich, da wir schon spät dran waren. Außerdem besitze ich nur zwei schwarze Gürtel, die mehr auffallen würden als die Farbe meines Anzugs.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass wir in diesem Moment am Standesamt ankommen wollten. Wir schnappten also alle unsere Sachen, verabschiedeten uns rasch von Natalie und eilten zum Auto.
Während wir uns zwischen Hinterhof und Parkplatz in der Altbau-Häuserschlucht zum Auto durchschlugen, überschlugen sich meine Gedanken:
- Mit rutschender Hose würde ich mich bei der gleich anstehenden Trauung unwohl fühlen – vor meinem inneren Auge fiel der Tag ins Wasser.
- Ich brauchte eine Notfalllösung. Welchen Alltagsgegenstand kann ich als Gürtel entfremden?
Plötzlich, während ich mein Gepäck über der Schulter und die Schuhkartons in meiner Hand balancierte, schoss mir ein zündender Gedanke für einen Ausweg aus der Misere durch den Kopf! Was wäre, wenn ich die Schnürsenkel meines Alltagstreters verwenden würde? Mein Schuh ist beige, das matte Schnürband würde farblich gut zum Anzug passen.
Ich belud den Kofferraum, half Julia mit ihrem Kleid, stieg ein und zündete den Motor. Beim Einlegen des Gangs bat ich Julia, den Schnürsenkel aus einem meiner Schuhe zu ziehen. Ich wusste in diesem Moment nicht, ob die Rechnung aufgehen würde.
Am Standesamt angekommen waren alle schon da. Pünktlich waren wir keinesfalls, doch bis zur Trauung blieben noch ein paar Minuten. Zeit genug, den Schnürsenkel – ich meine natürlich den Gürtel – zu richten. Um meine Hüfte gebunden reichten die letzten Zentimeter sogar für eine Schleife. Der provisorische Gürtel saß nicht wie angegossen, straffte aber die Hose. Ziel erreicht!
Ortswechsel und ein Moment des Verschnaufens
Die Hochzeit ist unser erstes (und planmäßig auch einziges) Lebensereignis dieser Art. Für sie gibt es keinen A/B-Test, bei dem man zwei Tagesabläufe parallel vergleichen kann. Die Hochzeit ist in ihrer Gestaltung und Planung also auch eine Art Experiment.
Der Tag verlief in zwei Etappen: Er begann in Leipzig und endete in unserer Heimat bei Gera.
Für den ersten Teil waren Julia und ich zuständig. Die hungrigen Gäste luden wir direkt im Anschluss an die Trauung im Standesamt ins Michaelis Leipzig ein. Das Hotel mit Restaurant liegt sechs Hausnummern weiter auf der gleichen Straßenseite wie unser Wohnhaus. Zum gemeinsamen Sitzen und Plaudern wurden zwei Gänge aufgetischt: ein Frühstücksbuffet und ein anschließendes Mittagessen. Selbst mit Pause für einen kleinen Spaziergang waren zwei Mahlzeiten zu üppig – das Frühstück hätte vollkommen ausgereicht. Das war eine der Erfahrungswerte des Tages.
Am frühen Nachmittag brachen alle Gäste in Richtung Heimat auf. Das verlief ganz nach Plan: Julia und ich konnten uns für eine halbe Stunde zurückziehen. Dieser Moment der Verbundenheit und Zweisamkeit war mir sehr willkommen.
Dankenswerterweise übernahm mein Bruder die einstündige Fahrt in Richtung Gera, denn ich war so erschlagen, dass ich auf der Rückbank ein Schläfchen brauchte.
Die Abendplanung organisierten Julias und meine Eltern. In der ehemaligen Scheune auf dem Hof meiner Eltern wurde ein Kuhstall zu einem Veranstaltungsraum ausgebaut, der perfekt für ein knappes Dutzend fröhliche Gäste geeignet ist. Der Raum war mir bekannt und vertraut, alles Drumherum sollte eine Überraschung werden. Mein Kernwunsch war: „Grillen mit der Familie.“
Ein heimatlicher Abend mit Nachholbedarf?
Am Nachmittag und Abend der Hochzeit gab es die eine erwartete und die andere ungeplante Überraschung. Das Buffet, Mamas Kuchen, die Rede des Brautvaters und die liebevolle Planung waren zwar im weiteren Sinne zu vermuten, aber nicht erwartet. Umso schöner war das Erlebnis. Ich bin dankbar für die Mühe unserer Eltern.
Die Kutschfahrt war eine der unerwarteten Überraschungen. Auf den sieben Kilometer zwischen dem Haus von Julias Eltern und dem Hof meiner Eltern galoppierten zwei weiße Schimmel und zogen uns hinterher. Zum Glück war es eben keine Hochzeitskutsche und entsprechend mehr Plätze als nur für das Brautpaar, sodass Julias Schwester und mein Bruder unserem Wunsch spontan folgten, mitzufahren.
Eine andere Überraschung war ein unerwarteter Besuch alter Freunde. Perplex empfing ich sie mit offenen Armen – wir hatten uns teils etliche Jahre nicht mehr gesehen. So schön das Wiedersehen auch war, ich hätte mir einen anderen Rahmen mit mehr Raum gewünscht. Denn so verschob sich mein Zeitbudget für das Auf-den-neuesten-Stand-Bringen und Integrieren in die Runde. Für das Quatschen mit Julias Geschwistern blieb zum Beispiel keine Zeit. Im Nachhinein wünschte ich mir mehr Einfühlungsvermögen von Papa, der die Gästeeinladungen initiierte, für mein Kernbedürfnis. Vielleicht ist auch das eine Erfahrung – wenn Überraschungspaket, dann mit ein paar Grenzen, oder die Planung ganz selbst übernehmen.
Einerseits war der Abend alles, was ich mir wünschte – an einem Ort zu sein, den ich mir in meiner Kindheit einmal und mit Julia ein weiteres Mal erschloss. Auf der anderen Seite hinterlässt unsere Hochzeit auch verzweigt diffuse Gefühle.
Kann das der schönste Tag des Lebens gewesen sein? Vielleicht, doch ich hoffe nicht. Dafür möchte ich noch dreimal so lange leben wie ich jetzt alt bin, Vater werden und weitere besondere Momente mit Julia und unseren Familien teilen.
Das schönste Geschenk ist, bei und mit Julia sein zu dürfen. Das unsichtbare Band, welches uns erst zum Heiraten bewegte, möchte ich weiter spinnen und weiterleben. Unsere Ringe sind die Manifestation dessen.
Jetzt, wo wir unsere Erfahrungswerte gesammelt haben – feiern wir in ein paar Jahren das große Fest?
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