Farbenprächtige Enttäuschung des neunten Tarantinos

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Once Upon a Time in Hollywood critique
Eine Playboy-Selbstdarstellungsanzeige von 1960. Veröffentlicht in der Zeitschrift Playboy, August 1960 – Band 7 Nr. 8. Lizenziert unter CC BY-NC 2.0 von Classic Film. Quelle.

Nach Teil des Beitragduos widme ich mich jetzt Quentin Tarantinos neuem neunten Film Once Upon a Time in Hollywood, der am 15. August 2019 in den deutschen Kinos anlief. Es ist das erste Mal eine Kritik zu verfassen und ich hoffe, sie wird verständlich für dich sein.

Die Traumfabrik und das Herz von LA

Once Upon a Time in Hollywood ist in erster Linie eine Hommage an das klassische Hollywood um 1969 und porträtiert den Prozess inklusive einiger Hürden des Filmemachens.

Der Film bedient sich ruhiger Kamerafahrten und wartet mit großartigen Sets in realistisch inszenierten Stadtszenen auf. Jedes Auto und jeder mit zeitgenössischer Werbung bedruckte Lastkraftwagen entstammt jener Ära, was die Kamera im Weitwinkel einzufangen versteht. Diese szenische Akkuratesse fing mich vor allem über die Highway-Fahrten hinweg ein und zog mich in den Bann. Ich konnte mich nicht sattsehen.

Diese Ära kann der Film außerordentlich gut zelebrieren. Auch die Charaktere im Film laben sich gerne ihres schauspielerischen Talents. Der Zuschauer bekommt ein farbenfrohes Hollywood auf dem Servierteller zur Schau gestellt, welches zum Staunen verlockt und die Kunst Filmemachens anhimmelt.

Im Verlauf des Films wird noch eine andere Filmwelt dargestellt, die ich nicht spoilern möchte und mir daher einen Kommentar verkneife.

Die Schauspieler im Film als Schauspieler (respektive Stuntman) im Film

In Once Upon a Time in Hollywood schlüpft Leonardo DiCaprio in die Rolle des Rick Dalton, einem abgetakelten Schauspieler, der nur noch in schlechten Fernsehserien auftritt und versucht, sich von der ihn vor neuen Rollen hindernden Assoziation mit Western zu lösen. Hollywood ist jetzt New Hollywood und Rick Dalton schafft dort nicht Fuß zu fassen, obwohl er neben Roman Polański und seiner Frau Sharon Tate wohnt.

American Diner 1960s
Amerikanisches Diner in den 1960er Jahren. Lizenziert unter CC BY 2.0 von Moto Miwa. Quelle.

Rick Daltons Stuntdouble Cliff trifft es härter, er kommt kaum mehr in den Genuss, Stunts zu drehen und ist nur noch Chauffeur und Mann für alles.

Wer die Schauspielkunst DiCaprios kennt, wird nicht enttäuscht. Er glänzt am meisten in jenen Szenen, in denen er zwischen seiner Rolle als Rick Dalton und der jeweiligen Figur, die er im Film als Rick Dalton verkörpert, wechselt. Zum Charisma und der Rolle von Brad Pitt gibt es ebenso wenig zu sagen. Der Kinogänger bekommt die paradigmatische Coolness einer Pitt-Performance in seiner Höchstform. Zum Glück nicht weniger, aber leider auch nicht mehr.

Über die Länge des Films lässt Tarantino die beiden Figuren ins Leere laufen. Noch eine Szene, noch ein Augenzwinkern von Leonardo DiCaprio, noch ein cooler/böser Blick von Brad Pitt. Es braucht nicht lange, bis das Repertoire an Mimiken und Gestiken nichts Neues mehr bereithält.

Margot Robbie erhält weniger Screentime, als die Trailer erwarten lassen. Über ihren Charakter ist wenig zu ergründen, was wahrscheinlich daran liegt, dass Sharon Tate, welche Robbie darstellt, im amerikanischen Raum ausreichend bekannt ist. Ebenso die Umstände ihrer Ermodung, auf welche der Film auf ehrende Weise Bezug nimmt.

Dabei nimmt Tarantino die Scheinwerfer von Charles Manson und stellt Sharon Tates Leben in den Vordergrund. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem Film unterstützten die Nachfahren Tates Tarantinos Filmprojekt, zum Beispiel Margot Robbie mit einem angebrochenen Parfum von Tate.

Die Intention sowie der Titel des Films erschließt sich spätestens nach dessen Ende, was mich achtvoll vor Tarantinos Unterfangen zurücklässt.

Tarantinos stilistische Mittel

Wer in einen Film von Quentin Tarantino geht, weiß, dass brutale Gewalt wartet. Diese Assoziation mit seinem Namen hat Tarantio erfolgreich etabliert. Und während er für seine Dialoge geliebt wird, ist das umstrittene stilistische Mittel der Gewalt öfter der Dreh- und Angelpunkt seiner Kritiker.

Ein Exkurs in die Grandiosität von Django Unchained

Apropos Dialoge. Vor ein paar Monaten schaute ich mir wiederholt einzelne Szenen aus Tarantinos Filmografie auf YouTube an: Wie der grandiose Dialog zwischen Dr. King Schultz und Django sowie dem Marshall vor und nachdem der Kopfgeldjäger den Sheriff Bill Sharp erschoss.

Djano Unchained (2012) ist schlichtweg ein Meisterwerk, das alle typischen Tarantino- und Western-Merkmale, die wir lieben, einbettet und uns gleichzeitig eine unglaublich clevere, nuancierte und — wagen wir zu sagen — amüsante Kritik der Sklaverei zeigt; während die meisten Westernfilme den Aspekt der Sklaverei vollkommen ausblenden.

In YouTube-Kommentaren ließt man öfter, dass Black Panther (2018) der erste wahre schwarze Superheld sei. Ich widerspreche, denn den gab es schon sechs Jahre zuvor: Tarantinos Django.

Ich möchte meiner Liebe zu Django Unchained etwas Raum geben und die mir wichtigsten Stärken des Films aufzählen:

  • Schultz durchbricht die rassistische Binärkultur (Weiße als Inbegriff der Kultur und Zivilisation, während Schwarze als unzivilisiert und unfähig für den richtigen Gebrauch der Sprache und Wertschätzung der Kultur angesehen werden), indem er die selbstzufriedenen Südstaatler im Vergleich zu sich wild unzivilisiert wirken lässt. Er ist im Grunde genommen ein Emblem der mythischen europäischen Zivilisation, auf der amerikanische Privatiers ihre Plantagen aufgebaut haben.
  • Wenn Django den ersten Brittle-Bruder direkt in die Mitte einer an seinem Hemd befestigten Bibelseite schießt, ist es, als ob Djangos Schuss auf die blutige Heuchelei hinweist, das Christentum zu benutzen, um die Brutalität der Sklaverei zu rechtfertigen.
  • Djangos ästhetische Entscheidungen beschreiben in gewisser Weise, was der Theoretiker José Esteban Muñoz Desidentifikation nannte. Für Muñoz ist die Desidentifikation eine Strategie des Handelns gegen eine dominante Ideologie, die nicht einfach versucht, ihr zu entkommen oder sich in ihr zu assimilieren. Django zieht nicht die Kleidung eines südlichen Aristokraten an, um einer zu werden, sondern um die Vorstellung vom südlichen Gentleman zu missbrauchen. Das heißt, er nimmt die kulturelle Logik von Mitspracherecht, Sklaverei und zersetzt deren Symbole von innen heraus.
  • Die Zerstörung des Candylands kann als metaphorische Forderung der Zerstörung der Institution der Sklaverei im Allgemeinen angesehen werden.
  • Stephen ist definitiv ein Bösewicht, der genau weiß, was er tut, und sein aufgesetztes Lachen nutzt, um Vertrauen und Einfluss zu gewinnen. Django bereitet ihm entsprechend das gleiche Schicksal wie den weißen Sklavenhändlern. Dennoch möchte ich einen Schritt zurückgehen: Er hatte wahrscheinlich nie einen anderen Weg, um unter Bedingungen der Sklaverei eine Art Freiheit zu erlangen. Die Chance, von einem gefälschten deutschen Zahnarzt befreit zu werden und beigebracht zu bekommen, wie man sich den Weg in die Freiheit bahnt, war ihm vergönnt. Stephen versucht, seine eigene Macht zu manifestieren, indem er die (schlechten) Karten spielt, die ihm gegeben wurden. Aus harter Arbeit auf den Feldern diente er sich in den relativen Komfort von Candies Zuhause und ist sogar so weit gekommen, dass er sich zurückziehen und seinem Meister widersprechen kann.

Die beginnende Abwärtsspirale

Tarantinos Dialoge sind lebendige Kunst, die auf magische Weise im Film einen Realismus erschaffen, der außerhalb Tarantinos präferierten Mediums keine Grundlage für aus dem Leben gegriffene Gespräche darstellen würden.

Für mich war diese Grandiosität Tarantinos mit The Hateful Eight gebrochen. Obwohl die Dialoge unvergleichlich Tarantino zugeschrieben werden können, fehlt es ihnen an Gewicht und Raffinesse. Die Gewalt ist brutal, seelenlos und einzig der Gewalt Willen eingesetzt.

Weniger rote Marmelade als erwartet, seelenloser eingesetzt, als erhofft

Als ich in Once Upon a Time in Hollywood saß, wartete ich etwa ab der Hälfte des Films auf eine gewaltvolle Entladung. Als es dann gen Ende zu den Tarantino-Szenen kamen, war ich deren Darstellung abgetan. Was fehlte: der entsprechende Konflikt. Das Rückrat seines stilistischen Mittels.

Die Gewaltdarstellungen dienen einzig und allein, den parallelen Handlungsstrang weiterzuspinnen. Dieses einzige Basis Tarantinos Intention ist für mich nicht Grund genug, der vorgeführten Gewalt Entfaltungsraum zu schenken.

Wenn es jemand versteht, Brutalität Facetten zu geben, dann Quentin Tarantino. Zum Beispiel wie er in Inglourious Basterds den Zuschauer spottend vorführt: Wir amüsieren uns auf Kosten der grotesken Reaktionen der Nazis zum während des deutschen Abends in Paris gezeigten Film über den Soldaten, welcher zu Ruhm gelangt, als er, von seiner Truppe abgeschnitten, von einem Glockenturm aus feindliche Soldaten im Laufe mehrerer Tage erschießt. Doch wenn kurze Zeit später brachiale Gewalt über den Saal hereinbricht, sind wir es, die sichtlich unterhalten auf die Leinwand starren und uns der Szenerie der Gerechtigkeit erfreuen.

Im Stil der frühen Tarantino-Filme, ohne Experimentierfreudigkeit

Once Upon a Time in Hollywood Ford
Ein Ford 7-Liter für 1966. In den 1960er Jahren waren 7 Liter der maximale Hubraum, den die NASCAR zuließ. Lizenziert unter CC BY 2.0 von John LLoyd. Quelle.

Quentin Tarantino saugt uns seit Pulp Fiction (1994) in jedem seiner Filme in ein Spiel aus Referenzen und nutzte eben diese wiederholt, um aus dem Spiel auszubrechen und etwas radikal Neues zu gestalten. Das ist, wofür man Tarantino kennt und schätzt.

Er betonte oft, dass er nur zehn abendfüllende Spielfilme drehen würde. Lange Zeit war ich fasziniert von seinem Streben und der schier endlos sprühenden Kreativität. Seit seinem achten Film sehe ich diesen Strang gebrochen und sein neunter frustriert mich gleichermaßen, wie er mich unbefriedigt lässt.

Once Upon a Time in Hollywood verliert sich in seiner eigenen Nostalgie. Er erzählt spannungslos und selbstgefällig. Filmisch und schauspielerisch glänzt der Film natürlich und ist hochwertiger, als was die Blockbuster der letzten Jahre offerieren. Doch seine Nostalgie hat etwas Hilfloses. Es scheint, als würde Tarantino selbst an einer Ära klammern, deren Ableben er nicht akzeptieren kann.

Wie des Films Protagonisten Rick und Cliff müde und leer sind, scheint auch Tarantino nicht mehr zu können oder wollen. Zwei Stunden geschieht kaum etwas. Die einst so pointenreichen Dialoge gehen in ein monotones Genöle über. Die Maschinerie der Referenzen quietscht und gerät mit dem Ende des Films ins Stocken.

Ich hoffe dennoch auf Quentin Tarantinos zehnten Film.


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